Rührei im Brötchen ist schwierig. Aber das Rührei Frühstück Nummer 3 geht. Es ist so billig, dass es auch egal ist. Das sollte aber nicht der Maßstab sein. In diesen Zeiten wollen wir Essen nicht wegwerfen. Wir haben den Vorstand gewarnt. Sie sitzt im mit großer Sorgfalt ausgewählten Business Kostüm (Farbe Flaschengrün) mit uns am Tisch, am Nebentisch die Weihnachtsfeier eines Physioteams, Thema Thermomix Party, ohne Alkohol, dafür mit Rentiergeweih in der Frisur.
Glitzer, Karin & Leo
Es ist kurz nach 10 Uhr vormittags. Das Geweih hat Glitzer, die Frisur Strähnchen aus Best of Regenbogen. Ein mit großer Sorgfalt ausgewähltes Business Kostüm kann eine trennende Erfahrung sein. Vorstand sein ist definitiv eine trennende Erfahrung. Sie war nicht darauf vorbereitet. Nennen wir sie Karin Delaney. Wir dürfen jetzt Karin zu ihr sagen. Aber nur in Leo’s Backshop und wenn niemand, der sie kennt dabei ist. „In unserem eigenen Interesse“, hat Karin gesagt.
Karin und wir starren aus dem Fenster. Rotklinkerbauten, die günstige Mieten versprechen. Eine Frau mit Rollator. Und diese Statuette aus Bronze. Keine Ahnung, warum die noch keinem Altmetallhändler aufgefallen ist. Wir sehen eine Frau in Hocke, eine Mischung aus Unterwerfung und Start zum 200-Meter Lauf, die Oberfläche pockennarbig. Die Züge der Frau wirken rumänisch, sie ist nackt dargestellt. Diese Skulptur heißt „Bückende Frau“, ist von der Wohnbaugenossenschaft 1967 gestiftet worden und von einem Bildhauer namens Hans-Jochim.
Karin wirkt abwesend, sie denkt. Nein, sie fühlt. Aua. Plötzlich ist sie wieder da, sie erinnert sich daran, warum wir eigentlich hier sind. So wie diese Statuette fühle sich ihr Vorstandsposten an. Bedrückend, beklemmend und ständig in der Bereitschaft zur Flucht nach vorne. Sie weiß nicht, wie lange sie dieses Schauspiel noch mitspielen möchte.
BANG! Am Nebentisch knallt eine Tischbombe. Es regnet Konfetti, ein Pappnase fällt in Karin’s Kaffee. Karin verliert nun endgültig die Fassung, sie weint. Eine unangenehme Stille befällt den Backshop. Servietten kommen. Erst gegen Kaffee, dann gegen Tränen. Es tut gut. Die Business Fassade fällt. Der Backshop wird heterogen eins.
Jürgen, Sarah & Tanzen
Nun kommt Karin ins Erzählen. Sie fühlt sich alleine. Sie predigt ständig als Vorstand, dass ihre Türen auch für Jürgen, den Gabelstaplerfahrer, offen sind. Jürgen ist auch tatsächlich gekommen und hat von seinen Ideen erzählt. Aber sonst ist in den ersten 7 Monaten niemand unaufgefordert zu ihr gekommen. Sie wünscht sich mündige und mutige Mitarbeiter. Sie will von ihren Mitarbeitern die großen Ideen, den Next Bing Ding. Und sie weiß gleichzeitig, dass sie mit ihrer Exponiertheit vorsichtig sein muss. Von ihr kann das Große nicht kommen. Sie muss das politische Spiel spielen.
„Sarah Connor habe ich noch nie bewusst gehört“, sagt Karin zwischendurch, als sie von der Toilette zurückkommt, wo sie ihre Schminke reparierte und beim Nachbestellen von Wasser den Stapel von CD’s vor einem kleinen portablen roten CD Player durchgesehen hat. Eigentlich meint Karin, dass ihr Sarah Connor gefällt. Ein junger Mann, vielleicht 16, bringt uns Wasser. Er ist wahrscheinlich der Sohn der netten Frau, die das Rührei Frühstück Nummer 3 zubereitet hat. Es ist wochentags und 10 Uhr. Die Schule ist woanders. Karin hat auch so einen kleinen Bruder. Er ist jetzt 40 und wohnt noch zuhause, aber bringt niemandem Wasser.
Die Mitarbeiter verstehen nicht, was Karin will und sie wenden ihre Systemschlauheit auch auf sie an. Sie denken naheliegend klein, nein, denken gar nicht. Vorstand bleibt Vorstand.
Karin, willst Du einen Moment tanzen zu Sarah Connor? Es wäre gut für Dich. Sarah würde niemals auf die Idee kommen, sich zu bücken, wenn Hans-Joachim kommt und sie verewigen will. Karin, wir tanzen mit Dir. Lass uns eine Party haben, hier bei Leo, jetzt.
Karin will nicht tanzen, nicht einmal, wenn wir mitmachen. Sie will es lieber alleine tun, wenn es niemand sieht. “Das gerade ist aber der Punkt”, sagen wir. Wir tanzen doch. Das Physioteam macht mit. Es ist keine große Sache. Bei Leo passiert sowas wahrscheinlich immer wieder mal.
Wir setzen uns zurück an den Tisch und reden über Erwartungsmanagement. Karin hört kaum zu. Sie ist noch bei Sarah Connor. Der junge Mann und seine Mutter trinken Evian. Wir trinken Leitungswasser. Es ist alles nicht so einfach.
Ich lese selten online Texte ganz durch. Schnell lass ich mich ablenken und meine Gedanken zerstreuen sich erneut. Anders bei euren Texten, da bleibe ich hängen, sinniere und sehe die Akteure der Geschichte bildlich vor mir. Eine Bereicherung. Danke!